Klimaschutz und Bürgerbeteiligung

Anmerkungen von Mehr Demokratie e.V. zum Koalitionsvertrag

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  • Klimaschutz und Bürgerbeteiligung

    Anmerkungen von Mehr Demokratie e.V. zum Koalitionsvertrag

    6. Juli 2022

Losbasierte Bürgerräte

Im Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein wurde vereinbart, dass die Durchführung von losbasierten Bürgerräten auf kommunaler Ebene und auf Landesebene gesetzlich geregelt werden soll. Dies begrüßen wir sehr und freuen uns auf die Diskussion über die geplanten gesetzlichen Regelungen.

Bürgerbegehren

Parallel dazu sollen die Regelungen für die Durchführung von Bürgerbegehren verschlechtert werden. Das stößt bei uns auf großes Befremden, da es dafür nach unserer Kenntnis keine sachlichen Gründe gibt. Insbesondere die Generalklausel klingt so, als solle in Zukunft die Regierung entscheiden, wofür politisches Engagement akzeptiert wird. Sie wird nach unserer Einschätzung dazu führen, dass die Mehrzahl der Bürgerbegehren in Schleswig-Holstein nicht mehr zulässig ist.

 

Die CDU stört naturgemäß Kritik an Investitionsvorhaben und Straßenbau, die Grünen am Klimaschutz und die SPD an sozialen Maßnahmen wie Mietwohnungsbau. Das befördert die gerade die Haltung, die gerade nicht gewollt ist: Protest. Denn in der Regel treffen die Bürger sehr abgewogene und vernünftige Entscheidungen – Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel – aber auch Gemeinderäte fassen nicht immer die optimalen Beschlüsse.

 

Klimaschutz und Investitionen

Insbesondere für die Klimaschutzpolitik ist die Verschlechterung der Bürgerbeteiligung kontraproduktiv. Denn viele Bürgerbegehren in Schleswig-Holstein und Deutschland drehten sich in den letzten zwei Jahren um das Thema Klimaschutz. Dazu gehörten allgemeine Forderungen z. B. nach einem kommunalen Klimaschutzplan, für Klimaneutralität der Kommune bis 2035, für den Ausbau des ÖPNV und von Fahrradwegen, aber natürlich auch für und wider den Bau von Windkraftwerken und Solarparks usw. Die deutliche Mehrzahl dieser Bürgerbegehren hatte zum Ergebnis, dass sich die Bürgerinnen und Bürger für mehr Klimaschutz ausgesprochen haben.

Auch die langjährigen Erfahrungen aus Bayern und der Schweiz, wo Bürgerbegehren ohne Themeneinschränkung schon seit Jahrzehnten zulässig sind, zeigen, dass die Befürchtungen, dass Bürger die notwendigen Investitionen blockieren, nahezu nie stichhaltig sind.

Im Gegenteil: Wenn es, wie zuletzt häufig geschehen, eine Abstimmung über einen Windpark gab und dann mehr als zwei Drittel dafür stimmen, dann erhöht das die Akzeptanz. Und wenn es tatsächlich mal zu einer Ablehnung eines Solarparks kommt, dann sollte auch die Kommune ihre Kommunikation hinterfragen, bevor man sich über zu viel Demokratie beschwert.

Zur Akzeptanz

Die Zustimmung der Bevölkerung zu einer engagierten Klimaschutzpolitik ist kein Selbstgänger. Die Grünen befinden sich diesbezüglich leider in einer Blase: Fast die Hälfte der Akademiker hat grün gewählt, aber nur 7% der Hauptschüler. Deswegen müssen wir gerade in den sozial schwächeren Schichten dafür werben, dass Klimaschutz kein Projekt für Privilegierte ist – sondern gerade die ärmeren Schichten besonders betroffen sind. Dazu bedarf es insbesondere einer finanziellen Kompensation über ein Bürgergeld aus der CO2-Abgabe.

Bürgerbeteiligung ist daher ein wichtiges Ventil. Robert Habeck hat mit seiner großen Fähigkeit zur Kommunikation in Schleswig-Holstein gezeigt, wie man die Menschen mitnehmen kann. Auch deswegen ist die Einschränkung der direkten Demokratie in den Kommunen in Schleswig-Holstein ein falsches Signal.

Andere Themen - Bauleitplanung

Ein anderes sensibles Thema für Bürgerbegehren war vor ein paar Jahren die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften. Auch bei diesem Thema waren die Ergebnisse erstaunlich positiv. Fast immer wurden Begehren, die sich gegen solche Einrichtungen wandten, deutlich abgelehnt. Die seltenen Ausnahmen betrafen Fälle, wo auch Grüne z.B. dagegen waren, dass ein lange verteidigtes Biotop nun ausgerechnet für Geflüchtete geopfert werden sollte.

Wenn in über 1000 Gemeinden in Schleswig-Holstein zuletzt ca. 25 Bürgerbegehren jährlich eingeleitet wurden, von denen aber ein Teil nicht zustande kam, dann kann in keiner Weise davon geredet werden, dass dies ein Problem für die Kommunalpolitik darstellt.

In NRW sollen laut Koalitionsvertrag die Regeln für die Bürgerbegehren sogar erheblich erleichtert werden, in Schleswig-Holstein sollen sie verschlechtert werden.

In 6 Bundesländern sind Bürgerbegehren zu Bauleitplanungen ohne Einschränkungen zulässig, in 4 Bundesländern – dazu gehört Schleswig-Holstein – sind sie nur eingeschränkt zulässig, in 6 Bundesländern sind sie nicht zulässig. Das Bundesland mit der aktivsten Bürgerbeteiligung war stets Bayern. Grund dafür sind die offenen Regelungen ohne Themeneinschränkung für die Durchführung von Bürgerbegehren.

Erhöhung der Zahl der Unterschriften und der Quoren

Auch die Erhöhung der Anzahl der Unterschriften für Bürgerbegehren und die Erhöhung der Quoren bei Abstimmungen ist unverständlich. In keiner Kommune gab es eine Vielzahl von Bürgerbegehren, die dazu einen Grund liefern könnte. Und uns ist auch kein einziger Fall bekannt, dass es Probleme mit dem Abstimmungsquorum gab.

Sowieso hält Mehr Demokratie e.V. Quoren für unnötig. Sie verleiten oft dazu, dass von Seiten der Mehrheitsparteien oder der Verwaltung versucht wird, der öffentlichen Debatte über ein Thema auszuweichen in der Hoffnung, dass das Quorum nicht zustande kommt und das Bürgerbegehren unecht scheitert.

Auch wenn die vorgesehene leichte Erhöhung der Anfordernisse keine unüberbrückbare Hürde darstellt, so ist sie doch kein Signal dafür, dass die Koalition eine konstruktive Bürgerbeteiligung als wünschenswert ansieht. Als Kompromiss mit der CDU halten wir sie daher für schlecht, aber notfalls hinnehmbar.

Zu den sonstigen Änderungen

Die Frist von drei Monaten für kassatorische Bürgerbegehren erscheint uns ok. Die Frist darf aber erst beginnen, wenn die Kommunalaufsicht die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt hat, so dass wirklich drei Monate Zeit für die Sammlung von Unterschriften bleibt.

Eine Sperrfrist von drei Jahren für Wiederholungsbürgerbegehren gibt keinen Sinn, da sich innerhalb von drei Jahren die Sachlage erheblich verändern kann. Uns ist sowieso kein Fall bekannt, der eine solche Regelung begründet.

Eine Verlängerung der Frist für die Zulässigkeitsentscheidung durch die Kommunalaufsicht von 6 Wochen auf 2 Monate ist nur dann akzeptabel, wenn sichergestellt wird, dass in der Zwischenzeit keine Fakten durch die Gemeinde geschaffen werden. Deswegen sollte klargestellt werden, dass die Handlungssperre bereits mit der Einreichung des Bürgerbegehrens beginnt und nicht erst mit der Zulässigkeit.

Aus dem Koalitionsvertrag

(Ergänzungen von uns kursiv)

Bürgerinnenräte und Bürgerräte in Land und Kommune gesetzlich etablieren

Wir verankern Bürgerinnenräte und Bürgerräte gesetzlich auf Gemeindeebene und auf Landesebene.

Beteiligungsformat für Bürgerinnen und Bürger

Bei Bürgerbegehren werden wir die Einteilung nach Größenklassen dahingehend verändern, dass in Gemeinden bis zu 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern das Quorum bei 10% (bisher bis 20.000 EW 10%, ab 10.000 EW 9%), bei Gemeinden bis zu 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern bei 8% (bisher ab 20.000 EW 8%, ab 30.000 EW 7%, ab 50.000 EW 6%) und bei Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern bei 5% (bisher ab 150.000 EW 4%) der stimmberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner liegt.

Die Quoren für den Bürgerentscheid werden wir dahingehend staffeln, dass bei Gemeinden bis zu 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern 20% (bisher bis 10.000 EW 20%, ab 10.000 EW 18%) bei Gemeinden bis zu 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern 16% (bisher bis 30.000 EW 16%, bis 50.000 EW 14%, bis 100.000 EW 12%) und bei Gemeinden über 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern 10% (bisher ab 150.000 EW 8%) der stimmberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner erreicht werden müssen.

Wir werden eine Frist für sogenannte kassatorische Bürgerbegehren von drei Monaten einführen. Für diese kassatorischen Bürgerbegehren gelten bezüglich des Beginns der Einreichungsfrist die Regelungen der einschlägigen Landesverordnung (§ 9 Abs. 2 der Landesverordnung zur Durchführung der Gemeinde-, der Kreis- und der Amtsordnung (GKAVO) in der Fassung vom 22.10.2018).

Zudem werden wir eine Sperrfrist von drei Jahren für Wiederholungsbürgerbegehren festschreiben. Die Frist für die Zulässigkeitsentscheidung des Bürgerbegehrens durch die Kommunalaufsicht werden wir auf zwei Monate verlängern.

Daneben wollen wir eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit, die betroffene Bürgerinnen und Bürger bei großen Vorhaben noch vor Beginn eines Genehmigungsverfahrens einbindet. Eine frühzeitige Beteiligung kann zu einer höheren Akzeptanz führen, sowie Konflikte und langwierige Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vermeiden. Wir werden uns deswegen dafür einsetzen, dass bundesweit einheitliche Leitlinien für die Durchführung einer frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung festgeschrieben und notwendige Rechtsgrundlagen geschaffen werden.

Generalklausel

Wir wollen folgende Generalklausel einführen: „Ein Bürgerbegehren findet nicht statt über Entscheidungen in Selbstverwaltungsaufgaben, die 2860 nach Feststellung der Landesregierung unverzichtbare Voraussetzung für Infrastruktur- oder Investitionsvorhaben von landes- oder bundesweiter Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Gütern oder Dienstleistungen sind oder Projekte, die der Erreichung der Klimaziele der Landesregierung dienen. Die Feststellung der Landesregierung kann auf Antrag einer obersten Landesbehörde für eine einzelne Gemeinde oder mehrere Gemeinden 2865 getroffen werden.” Bürgerbegehren sind bei Bauleitplanungen, die Voraussetzung für den Krankenhaus-, Schul- , Kita- oder Wohnungsbau (wenn mindestens 30 Prozent der Wohnungen sozialer Wohnungsbau sind) oder zur Erzeugung regenerativer Energien sind, unzulässig. Damit stärken wir die kommunale Selbstverwaltung.

Bisherige Regelungen:

Auszug Gemeindeordnung - § 16 g Bürgerentscheid, Bürgerbegehren

(2) Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über

1.         Selbstverwaltungsaufgaben, die zu erfüllen die Gemeinde nach § 2 Abs. 2 verpflichtet ist, soweit ihr nicht ein Entscheidungsspielraum zusteht.

6.         Entscheidungen im Rahmen der Bauleitplanung mit Ausnahme des Aufstellungsbeschlusses sowie dessen Änderung, Ergänzung oder Aufhebung,

(4) Ein Bürgerbegehren muss in Gemeinden

bis zu 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern von mindestens 10 %,

bis zu 20 000 Einwohnerinnen und Einwohnern von mindestens 9 %,

bis zu 30 000 Einwohnerinnen und Einwohnern von mindestens 8 %,

bis zu 50 000 Einwohnerinnen und Einwohnern von mindestens 7 %,

bis zu 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern von mindestens 6 %,

bis zu 150 000 Einwohnerinnen und Einwohnern von mindestens 5 %,

mit mehr als 150 000 Einwohnerinnen und Einwohnern von mindestens 4 %

der Stimmberechtigten innerhalb von sechs Monaten unterschrieben sein. Die Angaben werden von der Gemeinde geprüft.

(5) Über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens entscheidet die Kommunalaufsichtsbehörde unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von sechs Wochen nach Eingang. Ist die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt, darf bis zur Durchführung des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegen stehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt bestehen rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde hierzu. … Dieser Beschluss kann innerhalb von zwei Jahren nur durch einen Bürgerentscheid abgeändert werden. Den Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens ist Gelegenheit zu geben, den Antrag in der Gemeindevertretung zu erläutern. Die Gemeindevertretung kann im Rahmen des Bürgerentscheids eine konkurrierende Vorlage zur Abstimmung unterbreiten.

(6) … Der Bürgerentscheid findet innerhalb von drei Monaten nach der Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens statt; bei der Terminfestsetzung sind die Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens zu hören. Eine Verlängerung der Frist auf sechs Monate kann im Einvernehmen mit den Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens beschlossen werden.

(7) Bei einem Bürgerentscheid ist die gestellte Frage in dem Sinne entschieden, wenn sie von der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit in Gemeinden

bis zu 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern mindestens 20 %,

bis zu 20 000 Einwohnerinnen und Einwohnern mindestens 18 %,

bis zu 30 000 Einwohnerinnen und Einwohnern mindestens 16 %,

bis zu 50 000 Einwohnerinnen und Einwohnern mindestens 14 %,

bis zu 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern mindestens 12 %,

bis zu 150 000 Einwohnerinnen und Einwohnern mindestens 10 %,

mit mehr als 150 000 Einwohnerinnen und Einwohnern mindestens 8 %

der Stimmberechtigten beträgt. …

(8) Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Beschlusses der Gemeindevertretung oder des zuständigen Ausschusses. Er kann innerhalb von zwei Jahren nur durch einen Bürgerentscheid abgeändert werden.

 

Auszug aus der Landesverordnung zur Durchführung der Gemeinde-, der Kreis- und der Amtsordnung (GKAVO)

§ 9 Durchführung des Bürgerbegehrens nach § 16g der Gemeindeordnung

(2) Die Vertretungsberechtigten eines beabsichtigten Bürgerbegehrens informieren die Gemeinde schriftlich über ihr Vorhaben. Die zuständige Verwaltung erstellt unverzüglich eine Übersicht über die zu erwartenden Kosten der verlangten Maßnahme und leitet sie den Vertretungsberechtigten zu. Die Kostenschätzung muss auch die eventuellen Folgekosten der verlangten Maßnahme enthalten. Bestehen abweichende Auffassungen über die ermittelte Kostenhöhe oder die Folgekosten, können die Vertretungsberechtigten in den Antragslisten und Einzelanträgen darauf hinweisen.