Frankreich: Bürgerrat beschließt Empfehlungen

Auf ihrer letzten Sitzung vom 19. - 21. Juni haben die Mitglieder des französischen Klima-Bürgerrates „Convention Citoyenne pour le Climat“ 149 Empfehlungen beschlossen. Sie beinhalten in einem 500-seitigen Bürgergutachten weitreichende Vorschläge für Wirtschaft, Verkehr, Wohnen, Handel und weitere Bereiche. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen soll der CO2-Ausstoß des Landes bis 2030 um 40 Prozent reduziert werden.

Besonders umstritten war der Vorschlag zur Herabsetzung des Tempolimits auf Autobahnen von 130 auf 110 km/h. Hier war die Zustimmung von 60 Prozent für diesen Vorschlag im Vergleich zu den anderen Empfehlungen sehr knapp.

Vorschläge des französischen Klima-Bürgerrates (Democracy International, Englisch)

Video zu den Eindrücken zum Bürgerrat in Frankreich
 

Für nachhaltige Mobilität

Mehrere andere Maßnahmen sollen die private Nutzung von Autos verringern. Hierzu gehört die Förderung nachhaltiger Mobilität. Der Bürgerrat regt außerdem ein ökologisches Bonus-Malus-System für Autos an. Weiterhin sollen Beihilfen für ein langfristiges Leasing und zinslose Darlehen für den Kauf sauberer Fahrzeuge ausgebaut werden. Ab 2025 soll der Verkauf von Neufahrzeugen mit hohen Emissionen verboten und die umweltschädlichsten Fahrzeuge aus den Stadtzentren verbannt werden. Generell soll möglichst viel Verkehr von der Straße auf Schiene und Wasser verlegt werden. Auf allen Ebenen sollen zufällig geloste Bürgerräte Einfluss auf Verkehrsplanungen nehmen.

Der Klima-Bürgerrat will den Bau neuer Flughäfen und den Ausbau bestehender Flughäfen ebenso verbieten wie Inlandsflüge, wenn es hierzu Alternativen gibt. Auf Kerosin soll eine Steuer erhoben werden.

Gebäudesanierung und Landschaftsschutz

Im Bereich Wohnen sollen alle Gebäude bis 2040 energetisch saniert werden. Die Versiegelung von Böden und die Zersiedelung von Landschaften soll eingedämmt werden. Unternehmen sollen CO2-Bilanzen erstellen müssen. Die Reparatur von in Frankreich verkauften und hergestellten Produkten soll ebenso obligatorisch werden wie das Recycling aller Kunststoffgegenstände ab 2023.

Die Convention Citoyenne empfiehlt die Neuverhandlung des Handelsabkommens CETA. Für Handelsabkommen sollen als Maßstäbe in Zukunft gelten, dass das Vorsorgeprinzip und das Pariser Klimaabkommen eingehalten werden. Die Nichteinhaltung soll mit Sanktionen bestraft werden können.

Regulierung von Werbung

Um den „Überkonsum“ zu bekämpfen, sollen Werbetafeln in öffentlichen Räumen und die Werbung für Produkte mit einem hohen CO2-Fußabdruck - wie etwa große SUVs – verboten werden. Weitere Empfehlungen sind hohe Steuern auf stark verarbeitete Lebensmittel, ein Verbot von genmanipuliertem Saatgut, eine höhere Besteuerung von Stickstoffdüngern und eine Halbierung des Einsatzes von Pestiziden bis 2030 sowie ein Verbot der gefährlichsten Pestizide bis 2035.

Die Liste umfasst auch ein Verbot beheizter Terrassen, der Beleuchtung von Geschäften bei Nacht und eine Steuer auf Unternehmensdividenden zur Finanzierung des industriellen Wandels.

„Ökozid“ als Verbrechen

Der Bürgerrat fordert auch den "Ökozid" als Verbrechen in das französische Strafrecht einzufügen. Darunter wird u.a die Zerstörung der Umwelt durch Umweltverschmutzung im hohen Maß und die Ausrottung eines Volkes in Folge der ökologischen Zerstörung seiner natürlichen Lebensgrundlagen verstanden. Die Zerstörung oder gar der Verlust eines Ökosystems und die daraus resultierende Folgen für seine Bewohner sind bisher rechtlich nicht als Verbrechen gegen die Umwelt angreifbar.

Die Convention Citoyenne empfiehlt auch, den Erhalt der biologischen Vielfalt, der Umwelt und des Kampfes gegen den Klimawandel als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen. Die Präambel soll um die Formulierung ergänzt werden, dass die Anwendung der in der Verfassung verankerten Rechte, Freiheiten und Prinzipien den Erhalt der Umwelt nicht gefährden dürfen.

Drei Referenden

Über die Ökozid-Frage sowie die Verfassungsänderungen sollen alle Franzosen in einem Referendum abstimmen. Zu einer Reihe von anderen Fragen lehnten die Mitglieder des Bürgerrates Referenden jedoch ab. Ein Grund hierfür war die Befürchtung, die einzelnen Themen der Bevölkerung nicht vermitteln zu können. Ein anderer Skepsis gegenüber der direkten Demokratie an sich.

Präsident Emmanuel Macron hatte den Klima-Bürgerrat nach Protesten u.a. gegen die von ihm geplante CO2-Steuer einberufen. Die 150 Teilnehmer:innen waren zufällig aus allen Regionen Frankreichs ausgelost worden. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Mitglieder hinsichtlich Alter, Geschlecht, Wohnort, Bildung und Migrationshintergrund ein Abbild der Gesamtbevölkerung darstellen. Seit Oktober 2019 hatten die Ausgelosten an sieben Wochenenden getagt. Bei ihren Beratungen wurden die Bürgerrat-Mitglieder von Expertinnen und Experten unterstützt. Alle Teilnehmer:innen waren für die Erfahrung dankbar. „Als meine Tochter mir direkt in die Augen sagte ‚Papa, du warst es, der dem Planeten geschadet hat’, wusste ich nicht, was ich ihr antworten sollte. Und dann kam die Convention Citoyenne“, sagte Teilnehmer Mathieu.

Weitere Bürgerräte durchführen“

Die Organisatoren des Klima-Bürgerrates zeigten sich zufrieden. "Sie haben eine Premiere in einem politischen System erreicht, das als das Gegenteil von dem aufgebaut ist, was Sie getan haben. Partizipative Demokratie ist in unserem Land keine Normalität", sagte Laurence Tubiana, Co-Vorsitzende des Leitungsausschusses der Convention Citoyenne, zum Abschluss der Beratungen des Bürgerrates. Patrick Bernasconi, Präsident des Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrates CESE, regte an, weitere Bürgerräte zu anderen Themen durchzuführen.

Die 149 Empfehlungen des Klima-Bürgerrates wurden an Umweltministerin Elisabeth Borne übergeben. Präsident Macron hat angekündigt, bereits am 29. Juni auf die Vorschläge der Bürgerrat-Mitglieder zu reagieren.