Diskussionspapier - Möglichkeiten der Verbindung von Direkter Demokratie und Bürgerräten

Beschlossen auf der Landesmitgliederversammlung
am 2. Juni 2021

  • Diskussionspapier Demokratie und Bürgerräte

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    2. Juni 2021

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Die direkte Demokratie in Form von Volksinitiativen, Volksbegehren, Volksabstimmungen sowie Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden ist mittlerweile in Deutschland ein Teil der gelebten Demokratie in allen Bundesländern und Kommunen.

Die deliberative Demokratie in Form von ausgelosten Bürgerräten hat in den letzten Jahren international (Irland, Island, Kanada, Frankreich, Großbritannien) wie auch in Deutschland (Bürgerrat Demokratie, Bürgerrat Deutschlands Rolle in der Welt) zunehmende Aufmerksamkeit erhalten. Auch auf regionaler und kommunaler Ebene finden Bürgerräte zunehmende Verbreitung.

Beide Verfahren sollen die parlamentarische Demokratie nicht ersetzen sondern ergänzen und zu einer höheren Akzeptanz unseres demokratischen Systems beitragen.

Der Vorteil der direkten Demokratie ist die unmittelbare Beteiligungsmöglichkeit aller Bürgerinnen und die Verbindlichkeit der Verfahren. Gute Ergebnisse hängen auch von einer intensiven differenzierten öffentlichen Debatte ab. Die Sachentscheidung steht dabei im Vordergrund.

Der Vorteil der Bürgerräte liegt darin, dass alle Bevölkerungsschichten möglichst repräsentativ in der Debatte beteiligt werden. Das stellt sicher, dass auch die bildungsferneren Schichten,die oft in Beteiligungsverfahren und öffentlichen Debatten nicht ausreichend beteiligt sind, angemessen Gehör finden.

Aus diesen Gründen wurde 2019 im von Mehr Demokratie e.V. organisierten „Bürgerrat Demokratie“ unter der Schirmherrschaft des ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein der Vorschlag gemacht, die direkte Demokratie und die deliberative Demokratie miteinander zu verbinden. Dieser Vorschlag fand große Zustimmung und wird von Mehr Demokratie e.V. ausdrücklich begrüßt.

Der Vorschlag

Mehr Demokratie e.V. Schleswig-Holstein schlägt vor, die direkte Demokratie in Schleswig-
Holstein auf Landesebene und auf kommunaler Ebene durch das Instrument von deliberativen
Bürgerräten zu ergänzen.

1. Geloster repräsentativer Bürgerrat auf Landesebene

Das deliberative Verfahren „Bürgerrat“ wird in die Verfassung und die Gesetzgebung inSchleswig-Holstein aufgenommen.

Ein Bürgerrat auf Landesebene soll aus mindestens 30 Menschen bestehen, die in einem zweistufigen (geschichteten) Verfahren per Zufallsauswahl ausgewählt werden. In der ersten Stufe werden mehrere tausend Menschen aus den Melderegistern ausgelost und um Teilnahme am Bürgerrat gebeten. In einem zweiten Schritt wird aus den Menschen, die sich bereit erklärt haben, teilzunehmen, die Zusammensetzung des Bürgerrates so ausgewählt, dass diese Auswahl möglichst repräsentativ ist. Kriterien sollen zum Beispiel sein: Region, Ortsgröße, Geschlecht, Alter, Migrationsstatus und Bildungsabschluss.

Die Teilnahme ist freiwillig. Sie wird vergütet mit einem Tagegeld plus einer zusätzlichen Aufwandsentschädigung für Fahrtkosten, Übernachtungen, ggf. Kinderbetreuung, Betreuung von Angehörigen usw. Die Arbeitgeber sind verpflichtet, Teilnehmer*innen an Bürgerräten freizustellen, wenn dies erforderlich ist. Der Bürgerrat wird von einem professionellen Dienstleister nach den branchenüblichen Qualitätskriterien durchgeführt.

Der Landtag wählt mit Zweidrittel Mehrheit eine*n ehrenamtlichen Beauftragte*n für Bürgerräte. Diese*r organisiert einen Bürgerrat, der durch eine erfolgreiche Volksinitiative oder durch Beschluss des Landtages mit einfacher Mehrheit zustande kommt. Sie/er wird dabei durch die Landtagsverwaltung unterstützt. Zur Durchführung des Bürgerrates beauftragt sie/er einen professionellen Durchführer. Um Bürgerräte nicht durch lange Ausschreibungsverfahren zu verzögern, sollte mit mehreren Dienstleistern ein Rahmenvertrag abgeschlossen werden, so dass dann die Auftragsvergabe keinem erneuten Ausschreibungsverfahren unterliegt.

Der Bürgerrat kann die Vorschläge der Durchführer zur Tagesordnung, zur inneren Organisation, zur Anhörung und Beteiligung von Expert*innen innerhalb des Finanz- und Zeitrahmens modifizieren. Der Bürgerrat erarbeitet Empfehlungen, die Vorschläge, Eckpunkte oder Gesetzesentwürfe sein können. Für den Fall, dass der Bürgerrat eine Gesetzesinitiative oder eine Gesetzesänderung vorschlagen will, kann der Bürgerrat die Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtages oder auch externer Berater nutzen. Genaueres wird im Gesetz geregelt.

Im Folgenden werden zwei Verfahren vorgestellt, wie Bürgerräte mit der direkten Demokratie verbunden werden können: Die Einberufung eines Bürgerrates durch eine Volksinitiative und die Einberufung durch den Landtag.

Verfahren 1: Anstoß aus dem Volk

Die aktuelle Volksgesetzgebung in Schleswig-Holstein sieht vor, dass ein Volksentscheid von den Bürger*innen selbst per Unterschriftensammlung auf den Weg gebracht werden kann. Die drei Stufen sind: Volksinitiative (20.000 Unterschriften) – Volksbegehren (80.000 Unterschriften) – Volksentscheid.

Dieses Verfahren soll folgendermaßen ergänzt werden:

Wenn der Landtag die erfolgreiche Volksinitiative (20.000 gültige Unterschriften) für zulässig erachtet, sie aber nicht übernimmt und es auch nicht zu einer modifizierten Übernahme im Einvernehmen mit den Initiatoren der Volksinitiative nach Volksabstimmungsgesetz kommt, können die Initiatoren die Einberufung eines Bürgerrates zum Thema der Volksinitiative verlangen. Alternativ kann auch der Landtag die Einberufung eines Bürgerrates zu diesem Thema beschließen.

Die Einberufung eines Bürgerrates hat eine aufschiebende Wirkung auf die Durchführung eines Volksbegehren, wenn die Initiatoren der Volksinitiative dem zustimmen.

Der Bürgerrat erarbeitet entweder eine Stellungnahme zu der Volksinitiative oder einen Alternativvorschlag. Spricht sich der Bürgerrat gegen die Volksinitiative aus, dann steht es den Initiatoren immer noch frei, ein Volksbegehren zu ihrer Initiative durchzuführen, wenn dieses nicht schon vorher eingeleitet wurde.

Wenn sich der Bürgerrat mit einer Zweidrittelmehrheit für die Volksinitiative ausspricht, und der Landtag diese Empfehlung nicht übernimmt, dann ersetzt dieses Votum das Volksbegehren. Es kommt dann zum Volksentscheid über die Volksinitiative.

Wenn der Bürgerrat mit einer Zweidrittelmehrheit eine Alternative zu der Volksinitiative formuliert, und der Landtag diese nicht übernimmt, kann es ebenfalls zu einem Volksentscheid kommen, wenn die Initiator*innen der Volksinitiative sich der Alternative des Bürgerrates anschließen.

Wenn die Initiator*innen dagegen an ihrer ursprünglichen Volksinitiative festhalten wollen, dann müssen sie dazu ein Volksbegehren durchführen. Im Fall des erfolgreichen Volksbegehren tritt der Bürgerrat erneut zusammen. Er kann dann mit Zweidrittelmehrheit beschließen, dass der Vorschlag des Bürgerrates ebenfalls zur Abstimmung kommt. In jedem Fall kann auch der Landtag (wie bisher) eine eigene Alternative formulieren.

Da es auch möglich ist, dass zu dem gleichen Thema ein anderes Volksbegehren die nötige Zahl der Unterschriften gefunden hat, können ein, zwei oder mehr Abstimmungsalternativen vorliegen. In diesem Fall können (wie heute auch) bei der Durchführung des Volksentscheides mehrere Ja-Stimmen abgegeben werden. Zusätzlich kann eine Stichfrage beantwortet werden, welche Vorlage die Wähler*in vorzieht. Für den Fall, dass mehrere Vorlagen von der Mehrzahl der Wahlberechtigten eine Ja-Stimme erhalten, entscheidet dann die Mehrheit der Stimmen zur Stichfrage. Dieses Verfahren ist schon heute im Volksabstimmungsgesetz so geregelt (siehe dazu auch unten im Abschnitt „Präferenzwahl“).

Verfahren 2: Anstoß durch den Landtag

Der Landtag kann die Einsetzung eines Bürgerrates mit einfacher Mehrheit auch ohne eine vorangegangene Volksinitiative beschließen. Ein solcher Beschluss bietet sich immer dann an, wenn es grundsätzliche oder wichtige Zukunftsthemen gibt, bei denen sich die Parteien nicht einigen können, die aber die Mehrheitsfraktionen, die die Regierung stellen, nicht gegen die Opposition durchsetzen möchten. Dies bietet sich besonders dann an, wenn die Mehrheit im Landtag sicherstellen möchte, dass die Entscheidung nicht nach der nächsten Landtagswahl wieder gekippt wird.

Das Thema des Bürgerrats kann eine Fragestellung des Landtages sein, es kann aber auch eine Beschlussvorlage oder ein Gesetzentwurf der Landtagsmehrheit sein. In diesem Fall können die Fraktionen auch eigene Beschlussvorlagen oder Gesetzentwürfe dem Bürgerrat vorlegen.

Ergebnis des Bürgerrats können mehrere Empfehlungen an den Landtag sein. Dann handelt es sich im Ergebnis um eine Deliberation. Das Ergebnis kann auch ein eigener Vorschlag (entsprechend einem Landtagsbeschluss) oder ein eigener Gesetzentwurf des Bürgerrates sein. Der Landtag kann dann die Beschlussvorlage des Bürgerrates oder das vom Bürgerrat vorgeschlagene Gesetz beschließen.

Wenn der Landtag einen Vorschlag des Bürgerrates, der eine Zweidrittelmehrheit gefunden hat, ablehnt, kann eine Volksinitiative den Vorschlag des Bürgerrates aufgreifen und dafür 20.000 Unterschriften sammeln.

Ist diese Volksinitiative erfolgreich, so muss der Landtag erneut über die Annahme oder Ablehnung beschließen. Wenn der Landtag die Volksinitiative erneut ablehnt, dann mündet das Verfahren direkt, also ohne die zweite Stufe des Volksbegehrens, im Volksentscheid. Das Abstimmungsverfahren erfolgt dann wie oben beschrieben.

Erläuterung zur Diskussion bei Mehr Demokratie e.V.

Der Bundesvorstand von Mehr Demokratie e.V. hat sich in einem Diskussionspapier mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass ein Bürgerrat weder ein Volksbegehren noch eine Volksinitiative ersetzen kann. Auch bei Einberufung eines Bürgerrats durch eine Volksinitiative soll anschließend noch einmal eine Volksinitiative und ein Volksbegehren durchgeführt werden. Diese Position wird damit begründet, dass ein Bürgerrat nicht die Legitimation eines Volksbegehren hat.

Außerdem hält der Bundesvorstand das Quorum für eine Volksinitiative (also in Schleswig-Holstein 20.000) nicht für ausreichend für die Einberufung eines Bürgerrates. Nach Auffassung der Mehrheit des Bundesvorstandes sollte eine höhere Anzahl von Unterschriften erforderlich sein.

Der Landesvorstand und die Mitgliederversammlung von Mehr Demokratie e.V. Schleswig-Holstein halten es dagegen für sinnvoll und wünschenswert, dass ein Votum eines Bürgerrates, das mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde, ein so starkes Signal ist, dass dies rechtfertigt, dass ein Vorschlag direkt zur Volksabstimmung kommt und damit das Volksbegehren übersprungen wird. Als Grund dafür wird gesehen, dass die Vorlage eines Bürgerrates Ergebnis eines Deliberationsprozesses von hoher Qualität ist und dass ein längerer Zeitraum für die gesellschaftliche Deliberation zur Verfügung stand. Die Erfahrungen der Schweiz zeigen, dass die Gefahr, dass leichtfertig populistische Forderungen beschlossen werden, um so geringer ist, je länger die Deliberation dauert. Dazu kommt, dass ein Bürgerrat darauf angelegt ist, dass durch die Anhörung von externen Beratern eine hohe Qualität der Deliberation gesichert wird und durch die Zusammensetzung des Bürgerrats und durch die erforderliche Zweidrittelmehrheit weitgehend ein gesellschaftlicher Konsens abgebildet wird.

2. Präferenzwahl

Ergänzend stellen wir hier einen weiteren Vorschlag zum Volksabstimmungsgesetz vor, der nur indirekt etwas mit dem Thema Bürgerrat zu tun hat.

Wir schlagen vor, im Volksabstimmungsgesetz die heute im Gesetz vorgesehene Stichwahl durch eine Präferenzwahl zu ersetzen.

Stichwahl

Wenn mehrere Abstimmungsalternativen vorliegen, dann können die Wähler*innen für jede Alternative mit Ja stimmen. Außerdem können sie die Stichfrage beantworten, welche der Alternativen sie am besten finden. Wenn dann mehrere Alternativen eine Mehrheit der Ja-Stimmen bekommen, dann entscheidet die Stichfrage. Die Alternative, die bei der Stichfrage die meisten Zustimmungen erhält, gilt als beschlossen.

Bei zwei Vorlagen ist das unproblematisch. Wenn aber drei oder mehr Alternativen eine Mehrheit bekommen haben, dann kann bei der Stichwahl eine Vorlage zum Gesetz werden, die nur von einer Minderheit der Wahlberechtigten präferiert wird.

Präferenzwahl

Bei der Präferenzwahl geben die Wähler*innen anstelle der Beantwortung der Stichfrage für jede Vorlage ihre Präferenz an: Also eine Zahl. Die 1 bedeutet 1. Präferenz, die 2 die 2. Präferenz usw. Solche Wahlverfahren sind schon in einer Reihe von Ländern für Wahlen und/oder Abstimmungen in Gebrauch.

Bei zwei Vorlagen ist das Ergebnis der Präferenzwahl mit der Stichwahl identisch. Wenn mehr als zwei Vorlagen eine Mehrheit der Stimmen bekommen, dann wird zunächst die 1. Präferenz ausgewertet. Die Stimmzettel werden nach Präferenzen sortiert. Hat eine Vorlage die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, dann ist diese gewählt. Hat aber keine der Vorlagen eine absolute Mehrheit (also die Präferenz 1), so scheidet die Vorlage mit den wenigsten Stimmen aus. Nun werden die Stimmzettel mit der Präferenz 1 für diese Vorlage erneut ausgewertet – nun aber nach Präferenz 2. Die Stimmzettel werden zu den anderen nach Präferenz 1 dazu gelegt. Hat nun immer noch keine Vorlage die Mehrheit, dann werden wieder die Stimmzettel der Vorlage mit den wenigsten Stimmen ausgewertet und die jeweils nächste Präferenz gewertet. Dieses Verfahren wird solange fortgesetzt, bis eine Vorlage die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen hat.

Bedeutung des Präferenzverfahrens

Heute dürfte es praktisch nicht vorkommen, dass mehr als zwei Alternativen in einer Volksabstimmung vorliegen. Nach der Einführung des Bürgerrates ist es aber durchaus realistisch, dass es zu einer Volksabstimmung kommt, in der z.B. ein Vorschlag der Volksinitiative, ein Vorschlag des Bürgerrates und ein Vorschlag des Landtages zur Abstimmung stehen.

Ohne die Präferenzwahl kann es passieren, dass zwei kluge moderate Vorlagen und eine extreme Vorlage zur Abstimmung stehen. Teilen sich die beiden ersteren Vorlagen gegenseitig die Mehrheit der Stimmen kann trotzdem die dritte extreme Vorlage eine knappe Mehrheit bekommen. Dieser Effekt wird bei der Präferenzwahl vermieden. Dann würden die meisten Wähler*innen den beiden moderaten Alternativen die Präferenz 1 oder 2 geben, der dritten aber keine Präferenz. Dann würde eine der beiden moderaten Vorlagen auf jeden Fall die Mehrheit bekommen. Die dritte extreme Vorlage, die nur von einer Minderheit gewünscht wird, bliebe in der Minderheit.

3. Geloster repräsentativer Bürgerrat auf kommunaler Ebene

Mehr Demokratie e.V. Schleswig-Holstein schlägt vor, Bürgerräte auf kommunaler Ebene in die Kommunalverfassung aufzunehmen. Solche Bürgerräte sollen möglich sein auf Ebene einer Kommune, einer Stadt, eines Amtes, eines Kreises oder auch für mehrere Kommunen, die von dem Thema betroffen sind.

Die Organisation des Bürgerrates

Ein Bürgerrat auf kommunaler Ebene sollte mindestens 25 Bürger*innen umfassen. Mit dieser Zahl ist nach den Erfahrungen der einschlägigen Institute eine ausreichend repräsentative Vertretung der Bevölkerung möglich. Bei Bürgerräten in sehr kleinen Kommunen kann die Zahl entsprechend reduziert werden.

Die Bürgerrät*innen werden in einem zweistufigen Verfahren analog dem für den Bürgerrat auf Landesebene beschriebenen Verfahren aus den Bürger*innen der Kommune ausgewählt. Die Teilnahme ist freiwillig. Sie wird vergütet mit dem üblichen Sitzungsgeld für Gemeindevertreter*innen sowie eine zusätzlicher Aufwandsentschädigung nach Bedarf. Auch auf kommunaler Ebene soll der Bürgerrat von einem einschlägigen Dienstleister durchgeführt werden.

Ein Bürgerrat kann die Vorschläge der Durchführer zur Tagesordnung, zur inneren Organisation, zur Anhörung und Beteiligung von Expert*innen innerhalb des Finanz- und Zeitrahmens modifizieren. Er erarbeitet Empfehlungen, Beschlussvorlagen oder Satzungsentwürfe für die betreffenden kommunalen Gremien. Dabei kann der Bürgerrat auf die Expertise der Verwaltung oder externer Berater zugreifen.

Bürgerrat nach einem Bürgerbegehren

Die aktuelle Kommunalverfassung sieht vor, dass ein Bürgerentscheid auf der Ebene einer Kommune oder auf Kreisebene von der zuständigen Vertretung oder durch eine Bürgerbegehren eingeleitet werden kann. Bei einem Bürgerbegehren müssen je nach Größe der Kommune zwischen 4 Prozent und 10 Prozent der Bürger*innen das Begehren unterstützen, damit es zum Bürgerentscheid kommt.

Wir schlagen vor, dass die Initiatoren eines erfolgreichen Bürgerbegehrens von der Gemeinde verlangen können, vor der Durchführung des Bürgerentscheides einen Bürgerrat zum gleichen Thema durchzuführen. Damit kann die Debatte bekannter gemacht werden und auch inhaltlich ein Konsens gefunden werden, der von der großen Mehrheit der Bevölkerung getragen wird.

Der Bürgerrat kann entweder eine Stellungnahme zum Bürgerbegehren oder als Alternative einen Antrag oder einen Satzungsvorschlag beschließen. Der Gemeinderat kann entweder die Vorlage des Bürgerbegehrens beschließen, oder er beschließt die Vorlage des Bürgerrates oder einen anderen Kompromiss im Einvernehmen mit den Initiatoren des Bürgerbegehrens. Kommt es nicht zu einer solchen Übernahme im Einvernehmen, dann kommt es zum Bürgerentscheid. Die Initiatoren des Bürgerbegehrens können beschließen, dass sie anstelle ihres Bürgerbegehrens eine Alternative des Bürgerrates zur Abstimmung stellen.

Wenn die Initiatoren die Alternative des Bürgerrates nicht übernehmen, tritt der Bürgerrat vor dem Bürgerentscheid erneut zusammen. Er kann dann mit zwei Drittel Mehrheit beschließen, dass die Alternative des Bürgerrates zusätzlich zur Abstimmung gestellt wird. Da auch der Gemeinderat, die Stadtvertretung bzw. der Kreistag eine Alternative zur Abstimmung stellen kann, und da es möglich ist, dass mehrere Bürgerbegehren zum gleichen Thema gleichzeitig zur Abstimmung kommen, können theoretisch sogar drei oder mehr als drei Vorlagen zur Abstimmung stehen.

In diesem Fall schlagen wir vor, dass anstelle des Stichwahlverfahrens, das zurzeit in der Gemeindeordnung und der Kreisordnung steht, das Präferenzwahlverfahren angewandt wird, wie es oben unter Punkt 2 beschrieben wird.

Bürgerentscheid und Bürgerrat auf der Ebene des Amtes oder in mehreren Gemeinden

Nicht selten gibt es Entscheidungen in der Kommunalpolitik, die nicht nur eine sondern mehrere Gemeinden oder ein gesamtes Amt betreffen. Ein typisches Beispiel dafür ist der Neubau des Schwimmbades in der Probstei, von dem der Schwimmunterricht aller Schüler*innen des Amtes abhängt. Ein anderes Beispiel sind Regelungen, die die gesamte Insel Sylt betreffen, die aus mehreren Gemeinden besteht. Es bietet sich daher an, dass Bürgerräte oder Bürgerentscheide auch für mehrere Gemeinden oder ein ganzes Amt durchgeführt werden können. Noch besser wäre es, wenn auch in Schleswig-Holstein wie in den meisten Bundesländern die Ämter zu Samtgemeinden weiterentwickelt werden.